Interview zum papierlosen Büro mit Andrea Wörrlein, Geschäftsführerin von VNC in Berlin und Verwaltungsrätin der VNC AG in Zug.
Kann denn das, was Papier leistet, heute von Software schon voll ersetzt werden?
Die richtige Software ist eine der Voraussetzungen für das papierlose Büro – aber nicht die einzige. Das Phänomen Home-Office macht das deutlich: E-Mail, Chats, Messaging, Videoconferencing und Dokumentenmanagement können das Papier bei Kollaboration und Kommunikation weitestgehend ersetzen, inklusive Backup und DSGVO-konformer Archivierung. Softwareseitig sind die notwendigen Programme und Tools dafür bereits vorhanden. Dazu gehören aber auch eine stabile und leistungsfähige vernetzte IT-Infrastruktur sowie organisatorische Anpassung an veränderte Workflows. Wenn das alles zusammenpasst, kann bei sehr vielen Bürotätigkeiten auf Papier verzichtet werden.
Wo muss man überall anpacken, wenn man das papierlose Büro anstrebt?
Erstens muss die IT-Infrastruktur stimmen. Das papierlose Büro stellt nicht unbedingt höhere, sondern andere technische Anforderungen. Der Gerätepark für das Papierhandling und dessen Installation, Betrieb, Verwaltung und Wartung entfällt. Dafür wächst der Bedarf an Bandbreite, Rechen- und Speicherkapazitäten sowie Endgeräten mit hochauflösenden Displays. Zweitens, bei der Software-Ausstattung zählen Qualitätsmerkmale wie Nutzerfreundlichkeit, voll integrierte Teilfunktionalitäten im Stack, einfacher Daten- und Dokumentenaustausch zwischen den verschiedenen Programmen und nicht zuletzt die Sicherheit. Die Pakete für Kommunikation und Kollaboration sind häufig entweder aus unabhängig voneinander entwickelten Programmen zusammengesetzt oder um ein dominierendes Teilprogramm herumgebaut, an das weitere Funktionen angeflanscht wurden. Ein echter Collaboration-Stack dagegen wird auf einer gemeinsamen Basis entwickelt. Einfache Bedienbarkeit ist dann ebenso selbstverständlich wie der problemlose Austausch von Daten und Dokumenten zwischen den Programmen. Und drittens muss die Büroorganisation mit ihren Prozessen und Workflows an die geänderten Bedingungen adaptiert werden. Beim gemeinsamen Arbeiten an elektronischen Dokumenten entfallen beispielsweise bestimmte Korrekturschleifen, und Freigabeprozesse ändern sich. Das hat Einfluss auf die interne Struktur, die in der Regel durch elektronische Zusammenarbeit entschlackt, und von überflüssig geworden Prozessschritten befreit werden kann.
Welche Bereiche sollte man zuerst papierlos machen?
Das ist von Unternehmen zu Unternehmen, von Organisation zu Organisation unterschiedlich. Generell gilt: Zuerst die „low hanging fruits“ pflücken, also nicht das Schwerste zuerst machen, sondern klein und einfach anfangen. Und das möglichst in einem Bereich oder einer Abteilung, die nicht unternehmenskritisch ist. Fehler, die dort gemacht werden, sind nicht gravierend, können aber als Erfahrungsschätze beim Umbau größerer, wichtigerer Unternehmenssegmente genutzt werden.
Was sind die größten Vorteile eines papierlosen Büros?
Am offensichtlichsten ist die Reduzierung der Kosten. Drucker, Kopierer und die in vielen Branchen und Organisationen immer noch verbreiteten Faxgeräte verursachen Anschaffungs-, Betriebs- und Wartungskosten. Dazu kommen die Verbrauchsmaterialen wie Toner, Tinte und Papier. In einer Grenzkostenrechnung müsste man sogar vermeintliche Nebensächlichkeiten wie die Behältnisse für Papierabfälle und deren Abtransport, sowie die Aufwendungen für die Lagerung und Archivierung von Dokumenten berücksichtigen. Ein häufig übersehener Effekt des täglichen Papierhandlings ist der bremsende Einfluss auf Kommunikation und Zusammenarbeit. Ausdruck und Transport von papiernen Dokumenten benötigt selbst dann mehr Zeit als der elektronische Informationsaustausch, wenn man von immer und überall funktionierenden Druckern und Kopierern ohne Ausfallzeiten ausgeht, die man realistischerweise zusätzlich einkalkulieren müsste. Das alles entfällt im papierlosen Büro, in dem also potenziell schneller und spontaner zusammengearbeitet werden kann. So werden beispielsweise agile Projektmethoden durch den weitgehenden Verzicht auf Papierkreisläufe erst praktikabel. Zu den ökonomischen Vorteilen kommen die ökologischen Effekte, die bei bedrucktem Papier mit plakativen Negativschlagworten wie Abholzung von Waldflächen und giftigem Toner belegt sind. Auch wenn hier in den letzten Jahren viel erreicht wurde, so sind der Ressourcenverbrauch und die Gesundheitsbelastung immer noch ein starkes Argument für die Eindämmung der Papierflut im Büro.
Gibt es auch Nachteile?
Blockierte oder defekte Drucker und Kopierer sind unfreiwillig ein Ort für spontane Zufallskontakte im Unternehmen. Dieser soziale Wohlfühlaspekt entfällt bei der papierlosen Zusammenarbeit. Gravierender ist jedoch die Tatsache, dass auch im papierlosen Büro bestimmte Ressourcen benötigt werden. Nimmt man das Beispiel Videoconferencing, so sind es statt Toner, Tinte und Papier die zusätzliche Bandbreite und die Rechenleistung aus dem Datacenter. Das dafür erforderliche Mehr an benötigten Ressourcen ist jedoch nur schwer zu beziffern und in einen ökologischen Fußabdruck umzurechnen. Um so mehr lohnt es sich, auf nachhaltig betriebene Rechenzentren zu setzen.
Ist ein papierarmes Büro nicht ein realistischeres Ziel?
Das ist definitiv richtig! Wie lange sprechen wir schon vom papierlosen Büro? In unseren Augen viel zu lange, als dass wir das Zeropaper-Dogma noch als praktikable Vorgabe ansetzen könnten. Die in überschaubaren Teilschritten vollzogene drastische Reduktion der Papierpräsenz im Büro ist tatsächlich ein viel pragmatischerer, und deshalb erfolgversprechender Ansatz. Und in vielen Arbeitsprozessen ist Papier mittlerweile absolut verzichtbar.